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Menschen im Aufbruch

Die Besatzer und die Besetzten

Die Geschichte von Peter Weidenreich könnte auch im Kapitel über die Heimkehrer stehen. Aber die Stadt Köln, in die er im März 1945 kam, war ja nicht seine Heimatstadt. In den Jahren vor seiner Rückkehr nach Deutschland hatte er selbst seinen Namen aufgeben müssen; und er kam nicht, um zu bleiben, sondern er kam als Besatzer und ging bald wieder. Es waren nur zwei Tage, die Peter Wyden - wie er jetzt hieß - in Köln verbrachte. Als Offizier der amerikanischen "Psychological Warfare Division" vertrat er Johannes Wechsberg, den damaligen Chefredakteur der amerikanischen Zeitschriften und Flugblätter in Köln.

Peter Wyden ist Berliner, und das hört man ihm heute noch an. Er wurde 1923 als Sohn von Erich Weidenreich, des Geschäftsführers eines großen Berliner Textilgeschäfts. und der Konzertsängerin Leni Weidenreich in Berlin geboren. Nach 1933 fing eine "äußerst unangenehme" Zeit für ihn an: "Da sangen meine Berliner Klassenkameraden auf einem Schulausflug das Lied „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt“, und ich lief hinter ihnen her." Die jüdische Familie Weidenreich wanderte nach New York aus, der 14jährige Peter schlug sich mit Briefmarkenhandel durch. Später ergatterte er einen Job bei der Fachzeitschrift "Daily Metal Reporter", ging dann zum Militär und kam mit seiner Propagandaeinheit 1944 nach Deutschland. 1945, als er gerade mit Hans Habe zusammen in Frankfurt die "Frankfurter Presse" herausgab, erhielt er die Nachricht, er müsse den erkälteten Wechsberg vertreten.

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Das Bild der Stadt Köln steht Wyden noch heute genau vor Augen: ein riesiges Trümmerfeld. "Wir waren alle zutiefst deprimiert von dem grenzenlosen Elend, das wir sahen: Krankheit, Hunger und Kälte; Zigaretten, die die Währung ersetzten." Schon 1946 verließ Wyden Deutschland wieder und kam erst 1984 zurück. Losgelassen haben ihn seine Heimat, deren Menschen und Geschichte aber nie. Er schrieb Bücher: den Roman "Stella" über eine jüdische Klassenkameradin und, soeben erschienen, "Die Mauer war unser Schicksal".

Vor dem 6. März 1945 hatte der Berliner Peter Wyden zu denen gehört, die man in Deutschland den Feind nannte. Margot Trimborn war zu jener Zeit neun Jahre alt. Bevor die Amerikaner kamen, wußte sie nur, daß es den Feind gab, aber mehr wußte sie nicht. Die Bombenangriffe erlebte sie im Keller, geduckt unter einer Steintreppe. wenn die Einschläge näher kamen, fingen die alten Leute an zu beten. Nach den Angriffen sammelten die Kinder Bombensplitter und tauschten sie. Je mehr Zacken einer hatte, um so wertvoller war er. Der Feind war groß und namenlos, und vielleicht half das Beten der alten Leute gegen ihn. Wie der Feind aussah, wußte Margot Trimborn nicht. Auch die Eltern hatten es ihr nie erzählt.

Vielleicht wußten es auch die Eltern nicht. Sie hatten ja kein Radio. Im Radio, dachte die kleine Margot, hätte es vielleicht Nachrichten über den Feind gegeben. Und dann - plötzlich - war der Feind da. Er kam hinter einer Mauer hervor und hatte ein Gewehr. Margot erschrak furchtbar. Nicht, weil der Feind so schrecklich ausgesehen hätte. Der Feind sah genauso aus wie die Deutschen. Das war das Erschreckende.

Viele hatten Angst vorm Feind. In Lövenich, wo Margot Trimborn aufwuchs, wurden amerikanische Soldaten einquartiert. Einmal wollte ihr ein Amerikaner ein Kastenbrot als Geschenk geben. Sie fürchtete sich davor, das Geschenk anzunehmen, und verbarg ihre Hände hinter dem Rücken. Der Soldat brach ein Stück von dem Brot und aß es. Er konnte kein Deutsch, aber er wollte ihr so zeigen, daß das Brot nicht gefährlich war. Da nahm sie es.

Auch die Burgers hatten Angst vor den Amerikanern: vor allem die Frauen, Tochter Elfriede mit ihren 19 Jahren und die Mutter, die gerade 38 Jahre alt war. Im April rückten die Amerikaner in Niederrengsen bei Gummersbach ein, wo die Burgers seit Ende Januar in einem Zimmer bei einem Landarbeiter lebten. Am Vorabend hatte es noch eine Einquartierung deutscher Soldaten gegeben, und am Vormittag waren fliehende deutsche Offiziere mit einem Kübelwagen vorbeigekommen. Sie hatten ein Faß Wein dabei, das sie auf Flaschen zogen. Auch der zwölfjährige Norbert bekam einen Liter Wein und trank ihn. Als dann die Amerikaner kamen, sah er sie zwar - aber doppelt. Einmal schoß ein Panzer in die Luft. Dann marschierten Infanteristen vorbei, Kaugummi kauend.

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"Es war ein Ausnahmezustand", erzählt Norbert Burger, heute Oberbürgermeister von Köln: "Die Stimmung war gedrückt. Die Leute fragten sich, was würde wohl jetzt sein? Die Deutschen kannten wir ja, aber die anderen ... ". Die Amerikaner gruben Schützenlöcher in die Vorgärten, polsterten sie mit Plumeaus, die sie den Bauern wegnahmen, und zwei Offiziere quartierten sich im Zimmer der Burgers ein. Einer kam mit einem ganzen Stahlhelm voller Eier, die er bei irgendwelchen Bauern requiriert hatte, und einem halben Schwein und wollte, daß die Mutter Rührei mit Schinken daraus mache. Ihr könnt ruhig mitessen, sagte der Offizier. Aber davor hatten die Burgers Angst. Das sei zu fett, sagten sie. Dann holte der Offizier ein Glas mit Kirschen hervor und weißes Brot: Aber das könnt ihr doch essen? Der zwölfjährige Norbert Burger hatte immer noch Angst, aber er aß. In der Nacht merkte er dann, daß auch die Amerikaner Angst hatten. Die Offiziere hatten Frau Burger und ihren Kindern erlaubt, im Zimmer zu bleiben, sie nahmen ein Bett und ließen den Burgers das andere. Als Norbert und seine Mutter mitten in der Nacht austreten mußten, fuhren die Offiziere hoch. Sie dachten wohl an die Geschichten über nationalsozialistische Werwölfe, die sie umbringen wollten. Es sei alles in Ordnung, sagten die Burgers. Da legten sich die Amerikaner wieder hin.

Später hatten die Besatzer keine Angst mehr, während bei den Deutschen etwas davon blieb - erst recht, nachdem die amerikanischen Truppen im Juni von Briten abgelöst worden waren. Von dieser Angst profitierten auch Deutsche, die aus irgendeinem Grunde einen Dienstausweis oder eine Bescheinigung der Besatzer besaßen. Und sei es nur, um Post abholen zu dürfen. So einen Ausweis besaß der Postinspektor Klemens Kurz aus Köln-Zollstock. Das Dokument öffnete ihm Tür und Tor. Zum Beispiel hatte er nach Dienstschluß oft wenig Zeit, Lebensmittel auf Karten einzukaufen. Also zog Kurz seinen Ausweis, drängelte sich an der Schlange vorbei und wurde sofort bedient. Niemand beschwerte sich. "Die Leute waren ängstlich und vorsichtig und wollten keinen Ärger mit den Besatzern provozieren." Und keiner achtete darauf, daß der Ausweis nur dazu berechtigte, Postämter zu betreten.

Die Angst vorm Feind versuchte auch die deutsche Propaganda auszunutzen, so lange es sie gab. Die Kölner konnten noch deutsche Rundfunksender hören, als die Stadt längst besetzt war. Die Amerikaner hatten es nicht verboten. Der Arzt Wolfgang Michels notierte am 29. März die Greuelmärchen in seinem Tagebuch, die die Deutschen per Radio verbreiteten: Angeblich seien Kölner mit der Peitsche zur Arbeit getrieben worden, und einen Jungen, der nachts mit einer weißen Fahne einen Arzt habe holen wollen, hätten die Besatzer erschossen. Außerdem seien alle zivilen Patienten aus den Krankenhäusern geworfen worden. Alles unwahr; dagegen, so Michels, könne er aus eigener Erfahrung berichten, daß ein amerikanischer Militärarzt eine hochschwangere Frau selbst ins Krankenhaus gefahren habe, wo sie ihr Kind zur Welt brachte.

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Auch die Angst vor den "Negern", vor denen sich viele Kölner gefürchtet hatten, verging. Dafür sorgten die Schwarzen selbst. So als Frau Brennen eines Tages auf einer Hamstertour per Rad die Agger überqueren wollte. Die Brücke wurde gerade von großen schwarzen Soldaten repariert. "Plötzlich kam uns ein baumlanger Neger entgegegen, lachte mich an, schnappte mein Fahrrad und trug es hinüber." Sie bedankte sich und wunderte sich, daß der Soldat ihr nichts getan hatte. Die Furcht vor Vergewaltigung war allgegenwärtig. Auch in der nationalsozialistischen Propaganda waren Schwarze als Frauenschänder hingestellt worden. Deshalb wurden in der Familie Rother die jungen Mädchen daraufhingewiesen, keine Knöchelsöckchen zu tragen, weil das die schwarzen Soldaten so reizen würde. Einmal, erinnert sich Frau Rother, waren sie im Königsforst unterwegs und hatten keine Ausweise dabei. Auf einmal kam ein Schwarzer, und sie gerieten in Panik. "Aber er guckte nur freundlich." Und Frau Schiffer, die als Siebenjährige den Einmarsch der Amerikaner während der Evakuierung nach Hessen erlebte, berichtet: "Von denen kriegten wir Schokolade. Die Schwarzen strahlten einen mit ihren großen weißen Zähnen an, für uns Kinder war das eine Attraktion. Die Jungs durften auf den Panzern rumkriechen. " Toll war es auch, daß überall weiße Bettücher aus den Fenstern hingen. Was die bedeuteten, wußte Frau Schiffer allerdings nicht.

Ein großes Abenteuer war die Ankunft der Amerikaner auch in Köln-Nippes. Johann Schneppenheim hat das Ereignis wie "heute eine UFO-Landung" erlebt. "Plötzlich war die Luft mit Dröhnen gefüllt, die Panzer kamen. Eine Luke öffnete sich, und heraus kam ein Neger." Johann war fünf Jahre alt und hatte noch nie einen Schwarzen gesehen. Dann kam dieses Wesen auf ihn zu und schenkte ihm Apfelsinen. Die hatte der Knirps auch noch nie gesehen, ihm liefen Schauer über den Rücken. "Panzer, Neger und Apfelsinen - das war zuviel für mich." Auch Margot Trirnborn, damals neun, faßt ihren Eindruck von den Besatzern sehr knapp zusammen: "Der erste Neger war furchtbar schwarz."

In diesen letzten Kriegstagen schlug die Zeit ganz eigenwillige Kapriolen. Die Stunden zogen sich hin, bis die Amerikaner endlich kamen; von einem Moment auf den nächsten ging dann alles sehr schnell, und der Krieg war vorbei. "Als die mit ihren Panzern einfuhren, hörte alles auf', sagt Frau Schiffer. Auf einmal, berichtet Margarethe Fritz, sah sie einen Panzer vor dem Mietshaus ihrer Eltern in Köln-Nippes stehen. Das waren schon die Amerikaner. Unter der Eisenbahnunterführung am Ende der Hartwichstraße standen noch drei Deutsche mit einem Geschütz. Da begann sich die Zeit noch einmal zu dehnen, obwohl doch eigentlich schon alles entschieden war. "Die Amerikaner waren sehr anständig und baten einen Nippeser, er solle zu den deutschen Soldaten gehen und sie fragen, ob sie sich ergeben wollten.

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Er kam mit der Antwort zurück: "Ein deutscher Soldat ergibt sich nicht." Darauf schoß der Panzer ein einziges Mal. Margarethe Fritz erinnert sich nur, daß die Deutschen mit ihrem Geschütz nachher nicht mehr da waren; wahrscheinlich haben sie es noch geschafft, sich zurückzuziehen. "Die Amerikaner haben sehr elegant geschossen", sagt sie, "von unserem Haus war nur eine Ecke weg." In der Nohlstraße, auf dem Gelände des heutigen Kontra-Marktes, stand eine Schnapsfabrik. Sie wurde von den Amerikanern und dann auch von den Deutschen geplündert. "Die Nippeser gingen mit Eimern und Töpfen und Kannen hin und holten den Schnaps", erinnert sich Margarete Fritz. Sie war damals zehn Jahre alt, aber ihr ist unvergeßlich, wie der Zweite Weltkrieg im Viertel um die Hartwichstraße zu Ende ging: "Ganz Nippes war acht Tage lang besoffen."

Von Lövenich und Müngersdorf aus rollten die Amerikaner über Braunsfeld und Lindenthai ins Innere der Stadt. Das war am 6. März. In der Innenstadt beobachtete der Arzt Wolfgang Michels an diesem Tag noch deutsche Polizei mit leichten Waffen, aber keine Wehrmachtseinheiten mehr. Einige Kölner wollten wissen, daß die Amerikaner schon am Aachener Weiher oder gar am Opernhaus stünden. Karl-Heinz Pieper sah, wie die Panzer langsam über die Dürener Straße vorrückten und wie die Soldaten die Trümmer durchsuchten. Dann verbarg er sich mit den Ordensschwestern zusammen im Keller des Hildegardiskrankenhauses. Nach Stunden hörten sie einen Schuß. Später stellte sich heraus, daß die Amerikaner das Schloß zu einem Kellergeschoß aufgeschossen hatten. "Als die Amerikaner dann die Schwestern sahen, war im Grunde alles gelaufen", erinnert sich Pieper. "Besonders unter den schwarzen Soldaten waren viele Katholiken. Und fortan hatten wir im Krankenhaus keine Durchsuchungen mehr." Um 19 Uhr marschierte ein amerikanischer Trupp von 30 Mann bereits durch die Volksgartenstraße. Einer kam in den Vorgarten des Hauses, in dem Wolfgang Michels wohnte, und leuchtete in ein Souterrain-Zimmer, "was ein aufgeregtes Kreischen der Mädchen Sinzig zur Folge hatte". Eine Stunde später drang eine Patrouille von zwei Mann in die Küche ein, wo Michels gerade allein beim Abendessen saß. Michels erklärte, er sei Arzt. Damit waren die Männer zufrieden und verließen die Wohnung mit einem höflichen "good night".

Die Heimat der Soldaten war weit weg. Er komme aus Kalifornien, erzählte einmal ein junger Amerikaner, der mit Lieselotte Dierich ins Gespräch gekommen war. Das Siebengebirge - wohin sie evakuiert worden war - erinnere ihn an seine Heimat. Dann schenkte er Lieselotte Dierich Kakao und Kekse. Am nächsten Tag gab der Soldat ihr auch noch ein Kochgeschirr voll Kakao für ihre Eltern. So ging das noch einige Male. "Da konnten wir überhaupt nicht mehr verstehen, warum Menschen aufeinander schossen." Vor dem britischen Militärtheater standen Kölner Kinder und bettelten die Offiziere an: "Have yo a cigarett for der Papa?". "Ab und zu bekamen wir auch mal eine", erzählt Heinz Hissing: "An und für sich waren die human - die Engländer haben uns auch Butterbrote mit Wurst und sowas gegeben."

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Schlechtes erzählt kaum einer über die amerikanischen und britischen Soldaten. Allenfalls die ersten, die kamen, hätten sich manchmal nicht besonders gut benommen, meint Margare te Fritz. Die Hausbewohner hatten ihre Wertsachen - eine Rolleiflex- und eine Leica-Kamera sowie ein Fernrohr - in ein Butterfaß verpackt und im Brunnen auf dem Hof versteckt. Als die Amerikaner vor dem Haus standen, holten die Deutschen das Faß vor lauter Angst wieder hoch; ein amerikanischer Soldat wies ein amtlich wirkendes Papier vor und ließ sich alles aushändigen. "Nachher", erzählt Margarethe Fritz, "haben sich meine Eltern bei der Besatzungsbehörde erkundigt. Dort sagten sie, es habe so eine Anweisung in Wirklichkeit nie gegeben." Ansonsten hätten sich die Amerikaner "sehr zivil" benommen; einmal kamen sie in eine Wohnung im ersten Stock, packten Vorräte aus und kochten sich Essen. Nachher spülten die Soldaten das Geschirr und räumten alles wieder auf.

"Die Besatzer waren ganz nett. Bis auf die Franzosen, weil die ja selbst nichts hatten", sagt auch Frau Steineke. Gefürchtet waren die Kontrollen an der Grenze zwischen britischer und französischer Besatzungszone in Remagen. Aber in Köln selbst lagen Amerikaner und später Briten, mit denen Mimi Erkelenz allerdings ein unangenehmes Erlebnis hatte. Straßen und Brücken waren zum großen Teil zerstört, und viele Kölner mußten beim Ausbau helfen. Wie Frau Erkelenz beim Bau der Auffahrten zur Pattonbrücke. Während einer Pause setzte sie sich mit einer Freundin auf das Trittbrett eines englischen Jeeps. Dem Fahrer gefiel das wohl nicht: Er ließ, von den Frauen unbemerkt, plötzlich den Motor an und fuhr so ruckartig los, daß die beiden vom Trittbrett fielen.

Die Deutschen standen unter den Besatzern, aber noch weiter unten standen die, die schon im Dritten Reich ganz weit unten gelebt hatten: die Fremdarbeiter. Die Besatzer hatten sie aus den Fabriken und Bauernhöfen, wo sie unter den Deutschen hatten arbeiten müssen, zusammengeholt und in Kasernen einquartiert, wo sie auf ihre Rückführung warteten. Polnische Fremdarbeiter lagen in der Etzelkaserne. Sie hatten nichts zu tun und besaßen kein Geld; manche zogen deshalb plündernd durch die Ruinen. Armeliese Bliersbach sah sie mit Nähmaschinen, Plattenspielern, Fotokameras und sogar Gewehren auf dem Weg in die Kaserne. Das wollten die Besatzungstruppen unterbinden. Als Anneliese Bliersbach einmal ihr Fahrrad (mit einem platten Reifen) den Militärring entlang Richtung Lindenthal schob, flogen ihr plötzlich Kugeln um den Kopf. Ein Jeep stoppte, ein britischer Offizier fragte sie, wohin sie wolle: Es sei doch Sperrstunde. Die Besatzungssoldaten machten gerade Jagd auf die polnischen Plünderer, die sich vor der Razzia auf die Bäume im Stadtwald geflüchtet hatten. Der Colonel lud Armeliese Bliersbach in seinen Jeep und brachte sie nach Hause. So wurde das soziale Gefälle im Nachkriegseuropa schon früh aufgebaut: oben die aus dem Westen, unten die aus dem Osten.

Nur die Besatzer und ein paar deutsche Honoratioren wie Kardinal Frings hatten Autos. Auf der Bonner Autobahn fuhren die Deutschen mit Fahrrädern. Die Autos waren anfangs fast ausschließlich amerikanische Militärjeeps. Wenn auf den Fahrrädern Mädchen saßen, näherten sich die Soldaten manchmal von hinten und klatschten sie "aus Spaß auf den Hintern", erinnert sich Frau Bliersbach.

Einen Spaß machten sich die Amerikaner auch daraus, Frauen zu entlausen. Jeder Deutsche, der den Rhein überqueren wollte, mußte sich alle zehn Tage DDT-Pulver in die Kleider sprühen lassen. Die Prozedur fand im Gebäude der Firma Schütte am Deutzer Bahnhof statt; die Entlausung wurde auf ei- nem Schein vermerkt, den man beim Passieren der provisorischen Rheinbrücke vorzeigen mußte. "Die Amerikaner standen da lachend mit ihren Flit-Spritzen. Die Frauen bekamen oben eine rein und eine unter den Rock", sagt Frau Otto, die damals 15 Jahre alt war. Auch auf den Bänken im Entlausungsraum saßen amerikanische Soldaten und amüsierten sich, vor allem, wenn die Frauen "huch, huch" riefen, erzählt Frau Külheim. Besonders unangenehm war die Entlausung, wenn die Spritze gerade frisch gefüllt war. Hilde Falter erinnert sich, daß sie einmal so aussah wie Max und Moritz in der Bäckerei: "Puff, sie fallen in die Kist, wo das Mehl dar innen ist." Ihr Kleid war ein für allemal verdorben.

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Bei der Entlausung wurden Männer und Frauen getrennt; die Frauen waren meistens in der Überzahl und mußten entsprechend lange warten. Frau Steineke mußte einmal mit zwei männlichen Kollegen über die Brücke; die beiden Männer wurden sofort entlaust, "aber die Frauen standen Schlange, und es war brechend voll". Was tun? Einer der Männer kehrte zurück, ließ sich noch einmal entlausen, und Frau Steineke ging mit seinem Entlausungsschein über die Brücke. In der Folge änderte sie oft einfach die Daten auf den Scheinen und überquerte die Brücke ohne Entlausung. Sehr genau wurde es mit der Überprüfung der Personen ohnehin nicht genommen. Ein Onkel von Frau Rother war im Kaufhof beschäftigt und fuhr täglich mit dem Fahrrad über die Brücke. Wenn ein Familienmitglied einen Entlausungsschein brauchte, verlieh er seinen, was nicht weiter auffiel.

Die Entlausungsanstalt schloß am Nachmittag. Wer zu spät kam und keinen gültigen Entlausungsschein hatte, durfte nicht mehr über die Brücke. Frau Klinkhammer kehrte einmal mit ihrer Tante auf einem Planwagen erst um 19 Uhr aus dem Bergischen zurück. Eine andere junge Frau hatte noch einen Entlausungsschein übrig, der allerdings zu alt war. Aber sie schlug vor, Frau Klinkhammer solle den Finger auf das Datum zu halten und mit den Amerikanern flirten. Es funktionierte. Die Tante war allerdings zum Flirten zu alt und wurde unter der Plane versteckt. Als die Familie von Hildegard Prost im Juni aus der Evakuierung in Thüringen zurückkam, hatte die Entlausungsanstalt ebenfalls schon geschlossen.

Man hätte im Freien übernachten müssen. Da kam ihr Vater auf den Gedanken, mit Hilfe eines befreundeten Lederhändlers Lederscheine gegen Entlausungsscheine zu tauschen. Die waren zwar auf den nächsten Tag ausgestellt, aber das fiel bei der Kontrolle an der Brücke nicht auf.

Vielleicht am tiefsten griffen die Besatzungstruppen durch Einquartierungen in das Leben der Deutschen ein. Innerhalb von zwei Stunden mußten dann die Häuser verlassen werden. Lieselotte Dierich erlebte im Siebengebirge eine Reihe solcher Einquartierungen. "Kamen wir wieder zurück ins Haus, herrschte großes Durcheinander. Die meisten Möbel und Matratzen lagen auf der Wiese. Wir brauchten einige Tage, bis wieder Ordnung und Sauberkeit herrschte. Doch es dauerte nicht lange, und es stand wieder ein Offizier vor uns und befahl die Räumung." Eine Einheit nahm den Küchenherd mit, eine andere eine Schreibmaschine, einen Perserteppich und das Radio. Die zweite amerikanische Division bedankte sich mit einer Eintragung ins Gästebuch: "Wir hatten den Vorzug, eine Nacht in Ihrem schönen Wochenendhaus zu verbringen. Einige Vorschläge erscheinen uns diesbezüglich als angebracht: 1. Ein Weinkeller sollte eine zufriedenstellende Auswahl an Flaschen aufweisen (voll!), 2. und die Speisekammer sollte mit einem appetitlichen Menü versehen sein. Jedoch genossen wir unseren Aufenthalt außerordentlich und hoffen, eines Tages als Touristen wiederzukommen - besser als als Eroberer. Nie wieder Krieg!"

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Die sieben Kinder von Rudolf Koller lebten allein im Haus der Familie in Köln-Merheim. Beide Eltern lagen im Krankenhaus, der Vater wegen der schweren Verletzungen, die er bei der Explosion im Keller des Hauses Oppenheim erlitten hatte, und die Mutter wegen einer Fehlgeburt. Einmal klingelte ein großer, schwarzer Besatzungsoffizier und wollte das Haus besichtigen. Im Zimmer des ältesten Bruders Moritz fand er den Offiziersdegen des gefallenen Onkels Gottfried: "Hier sind Waffen im Haus!" Er durchsuchte das ganze Haus und ordnete schließlich an, daß die Kinder es bis neun Uhr zu verlassen hätten. Die 15jährige Marlene packte die Wertsachen in einen Koffer und nahm ihre kleinste Schwester, die zweijährige Gabi, auf den Arm. Dann zogen die sieben Kinder los, ohne zu wissen, wo sie schlafen würden. Ihnen fiel nur ein einziger Ort ein, wo man ihnen helfen könnte: das Marienhospital, in dem Mutter und Vater lagen. In dem Gebäude wohnte und arbeitete auch der spätere Oberbürgermeister Ernst Schwering, der damals Beigeordneter für das Wohlfahrtswesen war. Schwering hörte sich die Geschichte an, sprach bei der britischen Militärregierung vor und erreichte, daß die Kinder zurückkehren durften.

Schwering gehörte wie Oberbürgermeister Konrad Adenauer und Gesundheitsdezernent Hubert Lohmer zur ersten, noch von den Amerikanern eingesetzten Stadtregierung. Gleich nach dem Einmarsch der Amerikaner suchte ihr Stadtkommandant den Stadtdechanten Robert Grosche in der Marzellenstraße auf, den höchsten Geistlichen, der in Köln geblieben war. Pfarrer Pieper erlebte das Gespräch mit. Die erste Frage des Amerikaners lautete: "Wo ist Adenauer?" Das wußten die beiden Geistlichen allerdings auch nicht. Außerdem baten die Amerikaner um Namen weiterer zuverlässiger Deutscher.

Als Adenauer schließlich gefunden war, sah er sich in der absurden Situation, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten, während seine drei Söhne noch auf deutscher Seite im Feld standen. Deshalb sagte er den Amerikanern lediglich Beratung zu; Oberbürgermeister wollte er erst werden, wenn die Söhne in Sicherheit wären. So geschah es auch Anfang Mai. Adenauers Sohn Max erzählt, daß sich sein deutscher Einheitsführer außerordentlich fair verhalten habe: Schon 1944, als sein Vater in Brauweiler einsaß, erhielt Max Adenauer vier Wochen Sonderurlaub, um sich um die Freilassung zu kümmern; im März 1945 verhinderte der Einheitsführer Max Adenauers Überstellung an die SS.

Die Deutschen, die 1945 die Stadtverwaltung und die demokratischen Parteien aufbauten, kannten sich. Hans Katzer erinnert sich an die (inoffizielle) Gründungsversammlung der Kölner CDU am 17. Juni im Kolpinghaus. Leo Schwering hatte dazu eingeladen, Katzers Vater schickte seinen Sohn: "Jetzt darf man sich nicht vorstellen, daß da einander völlig fremde Personen zusammenkamen, um eine Partei zu gründen. Vielmehr war es wie das Treffen einer großen Familie, die über die Hitlerzeit hinweg wie Pech und Schwefel zusammengehalten hatte, und bei der jeder wußte, welche Ideen und Meinungen der andere vertrat." Offiziell gegründet wurde die CDU Köln dann am 19. August 1945.

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Kritisch sah Wolfgang Michels das Wirken der ersten deutschen Stadtverwaltung nach dem Krieg - wohl gerade weil sich die Honoratioren so gut kannten: Sie schien ihm am 10. Mai 1945 noch "mit ihrer eigenen Konsolidierung, der Verteilung der Posten und Pöstchen (mehr) zu tun zu haben, als es dem Gemeinwohl dienlich ist". Nun hoffte er auf die Tatkraft des eben ernannten Oberbürgermeisters Adenauer, denn bislang sei noch nicht viel Positives von Köln zu berichten: "Es scheint, als habe die vorzeitig eingetretene sommerliche Hitze die Gehirne der Führenden eingeschläfert. Die Amerikaner sind jetzt bereits zwei Monate hier. Aber man merkt noch nichts von einer andeutungsweise betriebenen Ankurbelung des wirtschaftlichen Wiederauflebens."

Dafür hat Hubert Lohmers Sohn Heinrich das Verhältnis von deutscher Stadtverwaltung und US-Besatzungs- macht in guter Erinnerung: "Der Stil wurde viel härter, als die Briten kamen." Gegenstand eines Streits war die Fleckfieberstation im Augustakrankenhaus, auf der nationalsozialistisch belastete Ärzte arbeiteten. Lohmer: "Die Briten wollten, daß mein Vater diese Ärzte entließ. Er sagte: ,Wieso sollen sie nicht bleiben? Die Arbeit ist erstens lebensgefährlich, zweitens versorgen die Ärzte die Kranken gut.' Adenauer wollte meinen Vater zum Nachgeben überreden, weil die Briten sonst seine Entlassung verlangt hätten. Er blieb hart. Er war Jahrgang 1874, also über 70, und hatte es nicht nötig, um jeden Preis im Amt zu bleiben. Er trat zurück. "

Die Auseinandersetzung um die Fleckfieberstation war typisch für ein Problem, das Wolfgang Michels so in seinem Tagebuch beschrieb: "Die Besatzung steht heute noch auf dem Standpunkt, daß kein ehemaliger Pg. (Parteigenosse) als Beamter in der Verwaltung, sei sie staatlich oder städtisch, geduldet werden kann." Bei den Ärzten gaben sich die Amerikaner offensichtlich flexibler als später die Briten; allgemein zeigten aber auch sie sich hart. Michels bilanzierte bitter: "Da aber ca. 95% aller Beamten, wollten sie nicht auf die Straße gesetzt werden, in die Partei eintreten mußten, kann man sich vorstellen, mit welchem Personal heute in allen Sparten gearbeitet werden muß." Während NS-belastete Beamte Straßen bauten, sei - so Michels - im Wohnungsamt "noch kein einziges Schriftstück durchgegangen". Er schrieb das am 14. Mai; das Amt war seit dem 2. Mai wieder geöffnet. Die Antragsteller müßten vier Formulare ausfüllen. "Die Formulare kommen in einen Umschlag, und damit ist die Angelegenheit zunächst erledigt." Und: Bei der Post seien tausende Briefe ins restliche Deutschland, die dort seit Februar lagerten und jetzt, nach der Gesamtkapitulation, eigentlich befördert werden müßten, immer noch nicht sortiert.

Etwa sechs Wochen nach dem Rücktritt von Hubert Lohmer wurde Adenauer selbst zum britischen Militärgouverneur Barraclough zitiert und in verletzender Form entlassen; er durfte sich nicht mehr im Regierungsbezirk Köln aufhalten. Heinrich Lohmer erinnert sich noch, wie Adenauer auf der Fahrt nach Rhöndorf bei seinen Eltern vorbeischaute: „Lohmer, du hast mir gesagt: Als nächster bist du dran, und du hast recht behalten." Heinrich Lohmer war gerade dabei, die Treppe zu putzen, und hat Adenauer nur kurz gesehen. Aber er erinnert sich, daß Adenauer Haltung bewahrte und sehr gefaßt wirkte.

Auch Max Adenauer erlebte seine Konfrontation mit den Briten: Der Stadtkommandant Colonel White machte Hausbegehungen in Köln-Marienburg, um zu prüfen, ob etwa Lebensmittel gehamstert würden oder Wohnraum vorsätzlich unterbelegt sei. In dem Haus, in dem Max Adenauer und seine Frau ein gemeinsames Zimmer gemietet hatten, gab es insgesamt elf Zimmer bei nur zehn Einwohnern. White bat ihn, ein Protokoll über die Begehung zu unterschreiben. Die Folge war, daß sich Max Adenauer vor dem britischen Militärgericht wiederfand, wo er aber darauf verweisen konnte, daß ihm das Haus nicht gehöre - Freispruch.

Über den Militärgouverneur Barraclough, der wegen der Entlassung Adenauers in so schlechter Erinnerung ist, gibt es aber auch eine sehr menschliche Geschichte. Sie hat wieder mit der Minenexplosion im Keller des Bankhauses Oppenheim zu tun. Trotz der Detonation arbeiteten die Bankangestellten oben weiter, als sei nichts geschehen. In Köln wurden zu dieser Zeit öfter die in den Rhein gestürzten Reste von Brücken gesprengt, und die Angestellten glaubten wohl an eine solche Explosion und nicht an eine Mine im eigenen Keller. Rudolf Koller schleppte sich - mit dem Brett, das in seinem zerfleischten Unterschenkel hing - die Treppe hoch und bat um Hilfe; niemand war bereit, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Barraclough kam zufällig vorbei und brachte den Schwerverletzten mit seinem eigenen Wagen ins Marienhospital.

Für manchen Kölner war die Besatzungszeit der Beginn einer Freundschaft mit den früheren Feinden. Heinrich Lohmer wurde mit anderen jungen Deutschen im September 1946 zu einem Zeltlager eingeladen. Gemeinsam mit jungen Briten verbrachte er ei ne Zeit in der Nähe von Geldern. "Das lief unter dem Stichwort Umerziehung, aber im Vordergrund standen das Kennenlernen und das gemeinsame Leben." Norbert Burger lernte eine junge Britin kennen, die als Zivilangestellte der Besatzungstruppe arbeitete; 1951 besuchte er sie in England - per Fahrrad, "aber über den Kanal mußte ich das Bötchen nehmen". 

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Und Hiltrud Olischinski bekam ihre ersten Jungmädchenkleider als Geschenk aus England. Ihre Englischlehrerin hatte vom Studium her noch Kontakte nach Großbritannien. Die ließ sie nach Kriegsende wieder aufleben. Sie brachte geschenkte Schuhe mit, die in der Englischstunde anprobiert wurden; und wenn ein Paar Schuhe mehreren Mädchen paßte, wurden die bevorzugt, deren Väter gefallen waren. Die Lehrerin vermittelte auch Briefkontakte zu englischen Schülern. Die englischen Brieffreunde schickten ebenfalls Pakete. So kam Hiltrud Olischinski mit 13 Jahren zum erstenmal an Kleider, die ihr wirklich paßten. Die Freude von damals, sagt sie heute, ist nicht zu beschreiben.

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