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Menschen im Aufbruch

Kapitel 3: Trümmermenschen

Es gab Trümmerfrauen, Trümmermänner und Trümmerkinder. Melitta Moreno schippte am Kölner Klingelpützz, Heinz Breuer an der Trajanstraße, Ecke Ubierring, und Hildegard Volk dreimal in Bayenthal. Sie war damals gerade 16 und mußte wie ihre ganze Schulklasse Schutt in Lorenzüge laden. ,,Es war zwar anstrengend", sagt sie, ,,aber es hat eigentlich Spaß gemacht. Wir hatten ja schulfrei dafür." Auch die Schwestern von Frau Kohlhof, 14 und 18 Jahre alt, wurden zum Steineklopfen in die Trümmer beordert. Die Mutter, die schon recht alt war und so viele Kinder zu versorgen hatte, wurde verschont.

Hildegard Volk, die heute Menge heißt, war noch ein Kind, und die jüngste Schwester von Frau Kohlhof auch; Melitta Moreno aber war schon eine richtige Frau. Sie war 19, als der Krieg zu Ende ging, und 20, als Walter Dick sie als Modell für eine seiner bekanntesten Aufnahmen aussuchte: ,,Das Mädchen mit der Schaufel". ,,Damals war ich blond", sagt Melitta Brinkmann-Moreno - so heißt sie seit ihrer Heirat 1952 - nachdenklich: ,,Und heute bin ich grau ... "

Wie ist Walter Dick auf Melitta Moreno gekommen? Sie selbst weiß es nicht, und der Fotograf kann es nicht mehr erzählen. Melitta Brinkmann-Moreno weiß nur noch, um was es ging: Dick wollte ihr Bild und das eines „Ami-Liebchens" einander gegenüberstellen. Auf der einen Seite die anständige junge Frau, die ihrer Ehrenpflicht nachkommt und sich ehrlich mit Lebensmittelkarten ernährt; auf der anderen Seite das Mädchen, das sich bei Besatzungssoldaten prostituiert und so durchs Leben kommt. Den Pfad der Tugend und den Pfad des Lasters also, wie man sie damals sah; deshalb auch das Plakat mit der Schaufel im Hintergrund: ,,Und du?"

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Zum Schippen wurden die Kölner mit vorgedruckten Bescheiden geladen, unterschrieben vom neuen Oberbürgermeister Hermann Pünder. Für den Arbeitseinsatz gab es dann eine Bescheinigung. ,,Kölle läv und deit sich reje, wenn sich alle Häng beweje. Dröm maach mit, ich bin et satt, denk, et es ding Vaterstadt" (Köln lebt und tut sich regen, wenn sich alle Hände bewegen. Drum mach mit, ich hab es satt, denk dran, es ist deine Vaterstadt), hieß es auf den Bescheinigungen des Jahres 1946. Populärer als durch solche Sinnsprüche wurde das Schippen wohl durch die Erbsensuppe, die Pünder ab und zu persönlich vorbeibrachte, vor allem dann, wenn Prominente schaufeln mußten. Kardinal Frings ging zusammen mit seinem Sekretär Paul Berndorff auf das Gelände des Waisenhauses am Sülzgürtel. Es wurde überlegt, was ein Kardinal wohl zum Trümmerräumen anziehen sollte; schließlich entschied sich Frings für eine Soutanelle, also eine halblange Soutane. Der Kardinal arbeitete den ganzen Tag. Das war nicht unbedingt üblich, sagt Konrad Adenauers Sohn Max schmunzelnd: ,,Wenn die Prominenten schaufeln mußten, kam meistens nach fünf Minuten ein Mitarbeiter und bat sie dringend ans Telefon ... "

Melitta Moreno war keine Prominente. Aber wer öfter in die Universitätsaula ging, um die Aufführungen der Kölner Oper zu sehen, kannte sie schon: Dort tanzte sie im Ballett, für ein Gehalt von 120 Mark im Monat. Sie hatte schon beim Kinderballett angefangen und war dann ins Erwachsenenballett übernommen worden. Aber das alles wußte Walter Dick vermutlich gar nicht. Er sah Melitta Moreno beim Räumeinsatz am Klingelpütz und bat sie, für ihn zu posieren. Ein anderes berühmtes Trümmerfrauen-Foto von Walter Dick zeigt seine Frau und andere Kölnerinnen. Hilde Wunsch erinnert sich, daß es an der Ecke Ehrenstraße/ Friesenwall entstand. Sie hat danach dort gelebt, ist aber nicht auf dem Foto zu sehen.

Obwohl beide Geschlechter Trümmer räumen mußten, zum Symbol sind die Bilder der Trümmerfrauen geworden. ,,Der Begriff Trümmerfrau zeigt für mich, wie schwer es gerade Frauen nach dem Krieg gehabt haben", meint Oberbürgermeister Norbert Burger: ,,Sie mußten die Männer ersetzen und einen Großteil der Drecksarbeit tun." ,,Und wie wir gearbeitet haben", bestätigt Melitta Brinkmann-Moreno. ,,Das habe ich im Kreuz gespürt, kann ich Ihnen sagen." Mittags bekamen alle Beteiligten ein „Herz-Jesu-Süppchen". Was das war? Eine dünne Suppe -,,wenn ein Stück Fleisch drin schwamm, gab es eine Sondermeldung." Damit war Melitta Moreno immer noch besser dran als Hildegard Volk und als Heinz Breuer. Die beiden bekamen bei ihren Räumeinsätzen nämlich gar nichts. Heinz Breuer ist seine Enttäuschung noch heute ein bißchen anzumerken: ,,Ich mußte schippen, obwohl ich bei der damaligen Rheinischen Zeitung arbeitete. Es half nichts, die Zeitung mußte mich freistellen." Morgens wurden die Schaufeln verteilt, dann hieß es, am Mittag solle ein Wagen mit Essen kommen. „Wir schaufelten bis 16 Uhr, aber es gab kein Essen. " Trotzdem war die Stimmung gut. Sie waren zu elf Personen und nannten sich sofort ,,Elferrat".

 

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Anders als Heinz Breuer mußte Peter Kahlenborn nicht lange zum Schippen gedrängt werden. Sein Einsatzort war das 4711-Gelände an der Vogelsanger Straße; ,,da hab ich geschippt, als wenn das Unternehmen mir wäre. Die haben alle gekuckt und gedacht, was macht der denn da, ¬aber es machte mir Freude, wir waren ja auch noch jung und kräftig."

Die Nippeser freilich hatten schon längst mit dem Trümmerräumen angefangen, ehe die Arbeitsverpflichtungen der Stadt kamen. Margarethe Fritz, die damals zehn Jahre alt war, kann sich gar nicht daran erinnern, daß ihre Eltern „Ehrendienst" hätten leisten müssen. ,,In Nippes", sagt sie, ,,in Nippes waren die Trümmer sehr schnell weg" -und das, obwohl ihr Elternhaus in der Hartwichstraße das einzige weit und breit war, das weitgehend unbeschädigt geblieben war. Beim Räumen mußte auch die kleine Margarethe anpacken. ,,Das war nichts besonderes, darüber haben wir gar nicht nachgedacht. Das war genauso selbstverständlich, wie als Kind in dem Lebensmittelgeschäft auszuhelfen, das meine Eltern hatten. Wir räumten die Straßen schon unmittelbar nach den Bombenangriffen, da wäre ja sonst keiner durchgekommen."

Das Trümmerräumen war nicht nur notwendig, um Straßen und Bauplätze freizubekommen; die Hausruinen bildeten eine ständige Gefahr, wenn sie nicht entweder gesichert oder abgerissen wurden. Hildegard Volk ging einmal mit ihrer Freundin von der Schule nach Hause. An der Alteburger Straße in Köln-Bayenthal stürzte ein Giebel ein, als sie gerade vorbeikamen. ,,Ich weiß noch, daß ich um mein Leben gerannt bin und gar nicht daran gedacht habe, daß meine Freundin vielleicht unter den Trümmern liegen könnte. Dafür habe ich mich dann sehr geschämt." Der Freundin war aber nichts geschehen.

Auf den Trümmergrundstücken wurden rasch Notunterkünfte hochgezogen; in Nippes hausten auch viele in Bauwagen. Man konnte auch im Dombunker übernachten. Als Hubert Prehl aus der Kriegsgefangenschaft nach Köln zurückkam und nicht wußte, wo er schlafen sollte, dachte er, es werde dort kaum noch Platz geben bei den vielen Ausgebombten und Heimkehrern. ,,Deshalb war ich verblüfft, daß es noch viele Schlafstellen gegen Bezahlen einiger Pfennige gab. Hier im Bunker herrschte aber reger Betrieb, Familien mit Kindern blockierten die Gänge, na, für die Dauer war das hier nichts." Andererseits -meint Prehl -war es erstaunlich, wie viele Häuser noch bewohnbar waren. Dort mußten die Bewohner dann zusammenrücken. Hubert Prehl zog 1946 in das Haus Nummer 4 auf der Richard-Wagner-Straße. Die dritte Etage war teilweise zerstört, ließ sich aber wieder instand setzen; in den noch bewohnbaren Räumen lebten jeweils drei Personen. Insgesamt beherbergte das Haus (mit Vorder- und Hinterhaus) zeitweise bis zu 170 Menschen. 1990 hatte es noch 32 Bewohner. Oft „beschlagnahmten" Kölner leerstehende Wohnungen einfach. Das tat zum Beispiel die Familie Frohn in Köln-Höhenberg. Sie hauste mit Betten aus dem Luftschutzkeller und in die Fensterhöhlen gehängten Teppichen. Töpfe, Bestecke, Teller waren aus den Trümmern der alten Wohnung gerettet worden. Fußbodenbretter aus einem zerstörten Haus dienten als Dachersatz. Als die Mutter von Dieter Kappelmeier 1946 mit ihrem siebenjährigen Sohn aus Schlesien zurückkam, fand sie ihre Wohnung in der Ehrenfelder Rotehausstraße belegt vor. Daraufhin suchte sie sich selbst eine Wohnung in der Hansemannstraße, in die sie einfach einzog; erst mußte eine Menge Asche herausgeholt werden, dann wurde mit Zeitungen tapeziert, bis es einigermaßen wohnlich aussah. Kurt Walther wohnte in der Wohnung seines Vaters, einer Werkswohnung, wie sie KHD für die ausgebombten Arbeiter in Köln-Ostheim hatte hochziehen lassen. Ende 1945 lebten hier sieben Personen in drei kleinen Zimmern. Wasser mußte vom nahegelegenen Gutshof Plantage geholt werden. Peter Kahlenborn lebte sogar mit sieben anderen Personen auf einem Zimmer.

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Nach dem Einzug der Amerikaner barg der Vater von Margarethe Fritz aus den Trümmergrundstücken Fenster und Türen. Sie wurden im Elternhaus eingebaut -denn dort waren alle Fenster bei den Bombenangriffen geborsten. Natürlich schlossen viele dieser Ersatzfenster nicht richtig. Trotzdem sind die letzten dieser Fenster erst vor zehn Jahren durch neue ersetzt worden. Die Notarin Maria Krauss-Flatten und ihr Mann fanden in der Herwarthstraße Räume für ihre Kanzlei. Pappe ersetzte die Fensterscheiben. Die Treppe mußte zunächst entschuttet werden, im Winter froren alle Mitarbeiter und Klienten Stein und Bein. ,,Wir wärmten uns innerlich mit Muckefuck aus der Thermosflasche und unsere klammen Finger an einem Heizstab von 100 Watt, sonst hätten wir überhaupt nicht schreiben können. Im Mantel mit hochgeschlagenem Kragen, einen dicken Schal um den Hals und eine Mütze auf dem Kopf, versuchten wir, uns allen Widrigkeiten zum Trotz warmzuarbeiten." Aber dafür, überhaupt wieder arbeiten zu können, war sie „unendlich dankbar".

Nicht nur die Wohnhäuser, die Fabriken, die Bahnlinien und die Brücken waren zerbombt, sondern auch die Kirchen. Hans Krakau und Sophie Emons hei¬rateten am 2. Juli 1945 in St. Agnes. Die Trauung fand in der Krypta statt, weil die Kirche fast ganz zerstört war. Hans Krakau hatte für seine Braut 24 weiße Rosen bestelle, für jedes Lebensjahr eine. Aber geliefert wurde ein erbärmliches Sträußchen. ,,Eine Schwägerin, die einen herrlichen Margeritenstrauß mit Schleierkraut mitbrachte, drückte meine Minirosen auf ihren prächtigen Strauß, und ich war eine geschmückte Braut. Nach der Trauung und Meßfeier waren unsere ersten Gratulanten die Bauarbeiter, als wir den Weg durch den Schutt gingen."

Alles in allem herrschte große Gelassenheit, erinnert sich Josef Frohn: ,,Wat noch nit es, kann nor besser wähde." (Was noch nicht ist, kann nur besser werden). Vor allem die Ruhe war nach dem Kriegslärm ein Genuß. ,,Das Hämmern und Klopfen rundherum störte nicht. Im Laufe der Sommermonate '45 wurde es bei uns immer wohnlicher; Fenster waren wieder verglast, Wände ausgebessert." Schließlich kam Teerpappe von einem alten Fabrikgrundstück aufs Dach. Dachpfannen aber gab es erst im Spätherbst 1946.

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Neue Mauern aus Trümmersteinen, erinnert sich Margarethe Fritz, mußten mit einem Mörtel hochgezogen werden, bei dem das Problem bestand, daß es keinen richtigen Zement gab. ,,Ein Wunder, daß die Mauern hielten -es war ja fast nur Sand." Später sollte eine solche Wand einmal neu tapeziert werden. Als die alte Tapete abgerissen wurde, kam gleich ein Teil der Wand mit.

Solider wurde nach der Währungsreform 1948 gebaut. Damals erhielten die Eltern von Frau Schiffer ein Stück Land von der Kirche in der Siedlung Longerich. Weil sich Kardinal Frings für diese Siedlung junger Familien eingesetzt hatte, hieß sie bei den Leuten „Fringsveedel". Der Vater ging immer morgens bei Ford arbeiten, abends wurde in Longerich am Häuschen gebaut -nicht nur am eigenen, sondern es wurde rundum bei jeder Siedlerfamilie gearbeitet. In der ersten Zeit nach dem Krieg konnten junge Eheleute vom eigenen Häuschen aber nur träumen.

Hans und Sophie Krakau wohnten nach ihrer Hochzeit bei Sophies Eltern, die ihnen zweieinhalb Zimmer ihrer Wohnung abgetreten hatten. Das Haus war schwer beschädigt, an einer Seite des Schlafzimmers waren die kaputten Möbelteile aufgereiht. An einem Bett fehlte ein Bein, das durch einen umgestülpten Eimer ersetzt wurde. Geheizt wurde mit einem Ofen, den sie aus den Trümmern geborgen hatten, und aus einem zerstörten Bücherschrank hatte ein alter Schreiner ihnen ein Regal gebaut. Das absolute Prachtstück aber war eine neue Couch, die Hans Krakau für 400 Zigaretten bekommen hatte. Neben den Betten standen zwei Regenschirme, die bei schlechtem Wetter aufgespannt wurden -denn das Wasser kam durch die Zimmerdecke. ,,Doch was soll's, Hauptsache glücklich", meint Sophie Krakau: ,,Wir waren zusammen, gesund und guter Dinge."

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